Auszüge aus dem Leben einer Studentin - von Marie Martin
Vier Wochen sind vergangen, seit ich das erste Mal einen Fuß in den Hörsaal gesetzt habe. Zwischen Büchern und Tränen nagt das schlechte Gewissen. Dieser Artikel sollte schließlich schon vor einer Ewigkeit fertig sein. Doch immer scheint es Dringenderes zu geben. Mindestens ein halbes Dutzend Vorlesungen wartet wöchentlich darauf vor- und nachbereitet zu werden. Dann ist da noch die erste WG-Party, die ich unbedingt wahrnehmen will. Wegen Corona kommt man schließlich nicht oft aus dem Haus, um ein paar Leute in dieser fremden Stadt kennenzulernen (Anmerkung: Es galt die 2G-Regel). Das folgende Wochenende ist ein runder Geburtstag in der Familie wichtiger. Zeit zum Schreiben bleibt da wenig. Meine Kreativität langweilt sich zu Tode.
Dabei hatte ich anfangs noch ganz andere Vorstellungen…
Endlich! Nach dreizehn Jahren Schule stehe ich auf dem Campus. Die Luft ist herbstlich frisch, die Sonne scheint wie zur Begrüßung. Die Ferien waren lang – länger als gewohnt. Jetzt ist es Mitte Oktober, erster Vorlesungstag. Meine Erwartungen: viel Spaß, viele Partys und Zeit neue Leidenschaften zu entdecken. Ironischerweise ist es ist dieser Tag, an dem ich das erste Mal auf diesen Ernst treffe, von dem alle Erwachsenen in der Schulzeit gesprochen haben. Seitdem will er einfach nicht verschwinden. Früher musste ich mir um die meisten organisatorischen Dinge keinen Kopf machen. An der Uni liegt es in meiner Verantwortung den Überblick zu behalten. Mir fällt auf: Die Schule hat mich zu einem wahnsinnig verwöhnten Gör erzogen.
Zum Schulstart lagen meine Bücher bereits fein säuberlich gestapelt in der Bibliothek und warteten darauf, dass ich sie von ihrem Stapel hob. Heute sind sie weg, wenn ich sie nicht pünktlich reserviere. Nicht, dass sie lesenswert wären, aber klausurrelevant – ALLES! Jeder einzelne Buchstabe, wenn es nach meinen Dozenten* geht.
Wie war das doch schön, als mir mein Stundenplan nach den Sommerferien auf einem silbernen Tablett serviert wurde. Der Unterricht ging jeden Tag von 8 bis 15 Uhr. Danach konnte ich machen, was ich wollte. Heute ballere ich sechs Stunden Vorlesung am Stück weg und habe bis 20 Uhr noch Französisch. Willkommen an der Uni!
Schon am ersten Tag kam es, wie es kommen musste: Nichtsahnend setze ich mich in den Hörsaal zur allerersten Vorlesung. In Geschichte bin ich immer gut gewesen. Allzu schwer wird es schon nicht werden, denke ich mir. Tja, hätte man im hessischen Stundenplan mehr Zeit in Erdkunde investiert – wer weiß – vielleicht hätte ich früher festgestellt, dass mein Orientierungssinn Nachhilfebedarf hat.
Erst als der Prof die Titelfolie an die Wand wirft, beginne ich peinlich berührt auf meinem Stuhl herumzurutschen. Zwei Fragen tun sich in meinem Kopf auf:
a) Wie schleiche ich mich möglichst unauffällig aus der Informatikvorlesung?
b) Schaffe ich es noch pünktlich den richtigen Hörsaal zu finden?
Die Auflösung: Ja, ich habe es geschafft. Nach diesem unliebsamen Starterlebnis sollten auch die zukünftigen Uni-Erfahrungen nicht vermögen im Handumdrehen mein Herz für diese Institution zu erwärmen.
• Der Dozent redet zu schnell? Schreib halt schneller.
• Der Dozent wiederholt sich zum 256 Mal? Vorsicht! Einschlafgefahr!
• Der Dozent redet wieder über dieses eine Buch, dass du unbedingt gelesen haben musst? Es gibt eine 1000-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass er es geschrieben hat.
Natürlich ist das überspitzt dargestellt. Dennoch hatte ich mir das Uni-Leben einfacher ausgemalt. Man sollte nicht gleich alles schwarzmalen. Vielen Freunden von mir ging es ähnlich, bis sie ins dritte Semester kamen. Am Anfang ist noch alles neu. Die Eingewöhnung braucht Zeit. Für mich ist es eine Herausforderung vom geregelten Schulleben auf den souveränen Unialltag umzustellen.
Auch jetzt nach einem Monat Uni, arbeite ich immer noch daran mein Zeit- und Organisationsmanagement zu optimieren. Struktur will auf jeden Fall gelernt sein. Mittlerweile habe ich wenigstens den Lageplan der Unigebäude verinnerlicht. Meine „Lieblingsfächer“ stehen auch schon fest: Staatsorganisationsrecht und Mikroökonomik. Einerseits habe ich das Glück in diesen Vorlesungen zwei junge, dynamische Dozenten zu haben. Andererseits wird gerade in diesen Disziplinen am wenigsten geschwafelt.
Ich bin gespannt, wie sich die Dinge entwickeln werden…
*Zur besseren Lesbarkeit ist nur die männliche Form angegeben.