Episode II

Auszüge aus dem Leben einer Studentin:

Episode II: Adventszeit

-oh, du schöne Zeit?!


 - ein Beitrag von Marie Martin -



Da ist sie ja wieder, die kuschligste Zeit des Jahres. Ich kann es kaum erwarten mich bei Kerzenschein mit einer Tasse heißer Schokolade in meine Wolldecke zu wickeln und in die spannende Welt zwischen den Bücherseiten meiner Romane zu verschwinden. Schnee und Eis haben hier in Passau den nassen November pünktlich zum 1. Adventswochenende verdrängt.

Fast scheint es, als wolle die Natur ihren Teil zur festlichen Dekoration beitragen. Die Dächer tragen ihre weißen Hüte mit Stolz. Unterdessen können sich die kleinen mittelalterlichen Gassen vor Tannenbäumen und Lichterketten gar nicht mehr retten. Bei diesem Anblick komme ich fast zwangsläufig in Weihnachtsstimmung. Damit es auch bei mir zu Hause gemütlich wird, muss noch etwas Deko her.


Eine Lichterkette hier
, ein paar Kerzen da – die kitschigen Weihnachtskugeln müssen auch noch mit. Der Einkaufskorb füllt sich mit rasender Geschwindigkeit. Ob ich das wirklich alles brauchen werde? Darüber denke ich später nach. St. Kommerz hat es mir angetan. Obwohl mein Geldbeutel bescheiden ist, gebe ich mich ganz dem berauschenden Gefühl des Weihnachtsshoppings hin. Dabei hätte man meinen können, dass mich die FLS besseres gelehrt hat, als meine Konsumentscheidung derart unüberlegt zu treffen. Was solls! Solange es ins Budget passt, darf das Lebkuchenhaus auch noch mit.


Zurück 
zu Hause geht es dann gleich ans Werk. Was gibt es freitagnachmittags Schöneres zu tun, als sich beim Lebkuchenhaus-Basteln und Weihnachtslieder-Hören auf die bevorstehende Adventszeit einzustimmen?

Kurz nach dem Öffnen der Verpackung folgt die Ernüchterung. Die Einzelteile wollen einfach nicht zusammenpassen. Die Vorderseite des Hauses ist mindestens zwei Zentimeter größer als die Hintere. Was sich der Architekt dabei gedacht hat? Zu allem Verdruss ist eine lächerlich kleine Menge Puderzucker beigefügt. Das reicht kaum für einen Klecks Zuckerguss. Also schnappe ich mir die Schlüssel und ziehe meine Stiefel an. Wenigstens schneit es, sodass aus dem Weg zum Supermarkt ein schöner Winterspaziergang mit dem Liebsten wird. Die tanzenden Schneeflocken stimmen mich milde.


Zurück zu Hause weicht die gerade erst gewonnen Ruhe erneut dem Frust. Das Projekt Hausbau hat wenig von dem vorgestellten Vergnügen. Es fehlt weit mehr als nur Puderzucker. Zwar sind wir zu zweit, aber mir scheint, es hätte mindestens drei Personen gebraucht. Der frisch angerührte Mörtel quillt aus allen Seiten der improvisierten Spritztüte. Dabei stand im Internet, dass Tiefkühlbeutel eine gute Alternative sein sollen. Ich fürchte, diese Theorie konnte ich widerlegen.


Während ich mit klebrigen Fingern alle Hände voll zu tun 
habe den Guss fachmännisch aufzutragen, fragt sich mein Freund, wo die dritte Hand bleibt, um die nächste Ecke zu halten. Wir geben uns alle Mühe, ein ansehnliches Werk zu kreieren. Während es draußen weiter schneit, hagelt es drinnen Schimpfwörter. Die Küche sieht aus wie ein Schlachtfeld und die weihnachtliche Idylle hat einen Knick bekommen. Das Projekt kommt mir vor wie eine Ikea Anleitung, auf der 30 Minuten Aufbauzeit angegeben sind, man real aber immer das Dreifache braucht.


[Eine gefühlte Stunde später]


Irgendwie haben wir es geschafft alle Teile zusammenzukleistern.
So langsam kann man unser Konstrukt als Haus durchgehen lassen, auch wenn die ungleichen Teile dazu geführt haben, dass die Seiten etwas luftig sind. Das schräge Dach, das gleichzeitig die Seitenwand darstellt, reicht kaum bis auf den Boden. Wenigstens steht es.

Jetzt geht es ans Verzieren.
Obendrauf kommt noch etwas mehr von der süßen weißen Masse, damit es wie der Schnee auf den Passauer Dächern aussieht. Darüber streue ich mit viel Hingabe Haselnuss-Krokant. Dann wird mit den mitgelieferten Süßigkeiten dekoriert. Ich nasche von den Gummibärchen. Bah! Sie schmecken widerlich sauer. Die Schokolinsen sind in Ordnung.
Nach einigen Minuten ist es dann soweit: Endlich fertig! Zeit für ein Foto.


Doch da geschieht schon das nächste Unglück: Noch bevor ich mein Handy zücken kann, muss ich mit ansehen, wie das Häuschen mit einem dumpfen Ton in sich zusammenfällt. Fassungslos starre ich auf den Küchentisch und kann mich nicht länger halten. Ein verzweifeltes Lachen entschlüpft meiner Kehle. Es ist die einzige Reaktion, die mir angesichts dieses Schlamassel einfällt. Prompt ärgere ich mich, dass ich mich habe von der Industrie an der Nase herumführen lassen. Ich kann nicht glauben, dass ich für diese missglückte Konstruktion mein kostbares Geld hingeblättert habe. Zehn Euro für vier ungleiche 
Lebkuchenteile, ein paar billige Schokolinsen, fünf Gramm Puderzucker und eine Packung ungenießbarer Gummibärchen.


Mein Resümee: Nächstes Mal backe ich doch lieber Plätzchen!

Share by: